©
Badische Zeitung Online vom 07.04.2003
Traum
vom Leben ohne Hass
Uraufführung
der deutsch-israelisch-palästinensischen Produktion "Gegenseiten"
in Heilbronn
Ihre
Tochter ist auf dem Heimweg von der Schule, als es Ronit
in den Nachrichten hört: Ein Selbstmordattentäter hat in
Jerusalem einen Bus in die Luft gesprengt. Es ist ein Familiengesetz,
nach einem Anschlag sofort zu Hause anzurufen. Die Mutter
wartet. Die Tochter meldet sich nicht. Alltag in Israel.
Szenenwechsel: Der Moshe Nissim, genannt Kurdi-Bear, erzählt
vom Niederwalzen arabischer Siedlungen mit der Planierraupe:
"Ich will so viele Häuser wie möglich zu fassen kriegen."
Das Leben der Palästinenser kümmert ihn nicht. Das ist die
Gegenseite. Alltag in Palästina. Zwei Szenen von zehn aus
dem Brennpunkt Nahost und den Federn eines achtköpfigen
israelisch-palästinensischen Autorenkollektivs, die am Stadttheater
in Heilbronn unter dem Titel "Gegenseiten" uraufgeführt
wurden.
"Ich
bin von hier. Das ist meine Heimat." Noch sind sie ein Volk.
Auf der spärlich mit Steinen und einer gläsernen Wasserwanne
ausgestatteten, schräg angelegten Bühne (Ausstattung: Florian
Parbs) liegt der Fokus auf den zehn Schauspielern, deren
Porträt auf einer Leinwand erscheint und die wie anklagend
Front bilden gegen das Publikum. Maßvolle Lichtführung und
musikalische Effekte (Musik: Klaus Hollinetz) verstärken
die Szenerie. Die Grundhaltung ist aggressiv. Zeitgleich
mit dem symbolträchtigen Aufheben der Backsteine erfolgt
die Spaltung in zwei Lager. Die Spirale von Hass und Gewalt
dreht sich. Stellt der Münchner Regisseur Elmar Fulda biblische
und gesetzmäßige Erklärungen an den Anfang, zeigt sich im
Verlauf des Stücks, wie unterschiedlich die Auffassung von
Heimat und Recht auf beiden Seiten ausgelegt wird.
Die
zu Anfang textlastigen Passagen erfordern genaues Hinhören
und wirken abstrakt. Doch im weiteren Verlauf gewinnen die
Bilder an Authentizität. Die Absicht Fuldas, den Blick hinter
die Kulissen der Schlagzeilen des blutigen Konflikts zu
lenken, an die sich die Augen der Welt gewöhnt haben, gelingt
im Ansatz. In der Mehrheit der Bilder bleiben die Darsteller
indes auf Distanz zu den Figuren. Die Betonung liegt auf
der Willkür von Anordnungen, die im Absurden gipfeln, wenn
beide Seiten dasselbe wollen: "Raus aus der Hölle, in der
wir leben." Dass der Traum vom Frieden auf beiden Seiten
der Absperrung geträumt wird, ist eine der Aussagen des
Stücks. Die andere: Dass es zwei Wahrheiten gibt, je nach
Blickwinkel. Ein anderer, menschlicher Konflikt ist der,
den jeder mit sich selbst ausmacht: Vorurteile gegenüber
der Gegenpartei auf der einen Seite, Interesse für die jeweils
andere Kultur auf der anderen.
Feine
Ironie und hintergründiger Witz helfen, den schweren Stoff
zu verdauen, der die Zuschauer schrittweise an die schreckliche
Wahrheit heranführt: Dass der Tod Teil des täglichen Lebens
ist und in allen Bereichen Einzug hält. Wie bei der Dame
aus der israelischen Oberschicht (brillant: Ingrid Richter-Wendel),
die den Verlust von Menschenleben als ebenso störend empfindet
wie Margarine in ihrer Gänseleber. Bei der von Karen Schweim
überzeugend gemimten seelisch zerrütteten Mutter, für
die der Tod des Babys in der Wanne der einzige Ausweg
aus der hoffnungslosen Zukunft ist. Und bei den beiden
Müttern (Marie-Louise Gutteck, Elke Borkenstein), die
für ihre Sorge um die Töchter extra Applaus ernten.
Passagen
aus authentischen Berichten ergänzen die Szenencollage
und wirken als mantrahafte Rezitation in der Gruppe beklemmend.
Die Polarität wird optisch nur durch Palästinensertücher
und Sonnenbrillen herausgestellt. Es bleibt derselbe Mensch.
Das gibt zu denken. Die Gegenseiten prallen aufeinander:
Dienstvorschrift oder Appell an die Humanität? Selbstzweifel
bis hin zur Identitätskrise durch die ständig präsente
Doppelmoral. Der Zuschauer fühlt sich genötigt und zugleich
unfähig, für die eine oder die andere Seite Partei zu
ergreifen. Doch "Gegenseiten" liefert keine Antworten.
Am Schluss stehen wieder die Nachrichten. Das Leben geht
weiter. Diesmal hinter den Kulissen der offiziellen Berichterstattung.
Fuldas Intention war: "Das Publikum darf nicht unbeteiligt
rausgehen." Das ist ihm gelungen. Minutenlanger Applaus
für die Schauspieler und teils stehende Ovationen für
Regisseur und Autoren.
Monika
Köhler
© Die Welt vom 10.04.04
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Berichte des Grauens
Projekt
Heilbronn - Zehn
Schauspieler auf fast leerer Bühne reiben Steine aneinander;
das bedrohliche Knirschen geht unter die Haut. "Ich spreche
von einem Land, in dem Autobomben explodieren", intonieren
sie im Chor. Mit dokumentarischer Sachlichkeit beginnt
im Theater Heilbronn die Inszenierung von "Gegenseiten", ein Stück, geschrieben von acht israelischen und palästinensischen Autoren.
Seit eineinhalb Jahren arbeiten Anat Gov, Elisheva Greenbaum,
Dorine Munayyer, Ilan Hatsor, Sameh Hijazi, Imad Jabarin,
Motti Lerner und Salman Natour an diesem Auftragswerk.
Die Uraufführung dieses szenischen Projektes zum Thema
Palästina-Konflikt setzte ein Zeichen der Menschlichkeit
und Völkerverständigung. Doch es war nicht mehr als politisch
korrektes Goodwill. Dabei hat Regisseur Elmar Fulda alles
richtig gemacht. Unaufwendig verband er die einzelnen
Texte mit Musik, erregendem Dokumentamaterial und Gedichten
zu einer stimmigen Szenenfolge. Trotzdem blieb alles blass:
Die Farce über das Blinddate eines israelischen Geheimagenten
und einer palästinensischen Selbstmordattentäterin, der
Monolog einer Mutter, deren Mann als Kollaborateur hingerichtet
wurde - es sind Berichte über die grauenvollen Lebenswirklichkeiten
der Autoren, aber keine theatralisch starken Stücke.
Termine: 10., 16. April; Karten: (07131) 563001
von Claudia Gass

© Die Rheinpfalz
08.04.2003
Menschen an der Grenze
Theater-Projekt mit israelischen
und palästinensischen Autoren in Heilbronn
Das
Projekt "Gegenseiten" ist Teil jener wichtigen Reihe,
mit der das Heilbronner Theater einmal pro Spielzeit den
Nahen Osten thematisiert und sowohl israelische als auch
arabisch-palästinensische Standpunkte auf die baden-württembergische
Bühne bringt. Diesmal allerdings kommt die Uraufführung
von "Gegenseiten" auch zur rechten Zeit - in einer Situation,
in der die Medien ausschließlich in Richtung Irak starren
und der israelisch-palästinensische Bürgerkrieg in der
öffentlichen Wahrnehmung zur Petitesse zu werden droht.
"Gegenseiten" stellt das richtig. Dass man in Heilbronn
israelische, palästinensische und israelisch-arabische
Autoren auf die Situation im Nahen Osten hat reagieren
lassen, zeigt, dass Theater wichtig sein kann - als Gegenöffentlichkeit.
Es liegt in der Natur
der Sache, dass die dabei entstandenen zehn Texte sehr
unterschiedlich ausgefallen sind. Man versteht trotzdem,
dass man in Heilbronn das alles in einen Theaterabend
packen wollte. Das kann funktionieren, da die Kurzdialoge
allesamt Seelenlagen von Menschen im permanenten Krisengebiet
behandeln und sich thematisch überschneiden. Immer wieder
geht es um den Checkpoint, an dem Macht und Ohnmacht,
Hilflosigkeit, Überforderung, Zynismus, Wut und theatrale
Ausweichmanöver aufeinander treffen - wie in "Cafe Jerusalem"
von Anat Gov, in dem eine Frau und ein Mann sich in einem
Cafe verabreden. Die beiden müssen nacheinander die Personenkontrolle
überstehen. Da wird ein Verlobungsring zum Anlass für
paramilitärisches Verhalten des Wachmannes und der erste
scheue Kuss zu einer klinischen Handlung im Hochsicherheitstrakt.
Die Autorin setzt auf die Komik solcher Situationen, scheitert
allerdings am Ende, wenn sie das Ganze toppen will und
der Mann ein israelischer Geheimdienstler sein darf, während
die Frau eine Sprengstoffgürtel-Attentäterin ist. Der
Witz wird zur dezent frivolen Konstruktion.
Anat Gov ist Israels bekannteste Komödienschreiberin,
Sameh Hijazi eine Institution des palästinensischen Theaters.
Er leitet nach vielen Kämpfen das Nationaltheater in Ost-Jerusalem,
hat mit "Ghassan und der Arrak" die hintergründigste Parodie
geschrieben und zeigt, wie jüdische und arabische Klischees
am Checkpoint aufeinander treffen. Ghassan will Arrak
fürs Abendessen besorgen. Eine israelische Offizierin
greift ihn auf und glaubt nicht, dass Moslems trinken.
Der charmante Ghassan flirtet und will nicht wahrhaben,
dass schöne Frauen Uniformen tragen können.
Mit Govs und Hijazis Texten hat Uraufführungsregisseur
Elmar Fulda genauso wenig Probleme wie mit Imad Jabarins
"Spiel den Araber". Im kurzen Stück des israelischen Autors
und Schauspielers verwandeln zwei Männer sich in einen
Araber und dessen Frau. Das Ganze könnte Theater im Theater
sein. In einem knappen Schlussbild entpuppen die beiden
sich allerdings als Mordkommando des israelischen Geheimdienstes.
Das friendly couple schlitzt einem palästinensischen Terroristen
die Kehle auf. "Ich mag das Theater nicht, ist mir zu
brutal", sagt einer der verkleideten Killer und könnte
Motti Lerners "Ein Soldat kommt heim" meinen. Der neben
Joshua Sobol wichtigste israelische Theaterautor zeigt
immer wieder schonungslos Kehrseiten Israels. In seinem
Text für Heilbronn kommt ein junger Soldat von seinem
Dienst am Checkpoint heim zu den Eltern, die nicht verstehen,
warum ihr anscheinend so kraftstrotzender Sohn reif für
die Psychiatrie ist. Der Grund: An der Checkpoint-Front
ist man nur dann ein ganzer Kerl, wenn palästinensische
Jugendliche mit einem Blattschuss erledigt werden. Er
allerdings musste mehrmals schießen, und in der Tasche
des jungen Palästinensers waren nicht Bomben, sondern
Bücher.
Aus dem Text müsste ein hartes Stück israelischer Realität
werden. In Heilbronn wird kurz nach der Pause allerdings
einmal mehr deutlich, dass Elmar Fulda alles in allem
hoffnungslos überfordert war. Die Familie im Lerner-Stück
wirkt, als sei man in eine TV-Soap geraten. Und versucht
Fulda in anderen Fällen in Tiefenstrukturen eines Textes
vorzudringen, wird nicht selten therapeutisches Klage-Theater
daraus. Manchmal fragt man sich, wer da vor wem hätte
geschützt werden müssen: der Regisseur vor dem Heilbronner
Ensemble oder umgekehrt?
Weitere Termine 9.,
10., 16. April. Karten: 07131/ 56 30 01 oder 07131 / 56
30 50.
Von Jürgen Berger

© Heilbronner Stimme 07.04.2000
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Verschärfte Spielregeln im Niemandsland Palästina
Wer protestiert, wird respektiert
- und sei es im Restaurant gegen einen schlechten Wein.
Oder, noch verheerender, gegen Gänseleber mit Margarine."Schlimmer
als die Besatzung", scherzt die aufgeklärte
linke Dame der israelischen Gesellschaft und nährt
ihre politisch korrekten Tagträume und Sonntagsreden,
in denen sie sich couragiert für die unterdrückten
Palästinenser stark macht. Eine Szene, die voll subtiler
Ironie den Blick richtet auf einen Konflikt, der es verbietet,
einfach von Tätern und Opfern zu sprechen in dieser
Gemengelage von Unverständnis, Hass, Rache und Vergeltung.
Anat Govs theatralische Verdichtung, glänzend mit
Leben erfüllt von Ingrid Richter-Wendel, ist eine
von zehn Szenen aus der Feder acht israelischer und palästinensischer
Autoren, die den Kern bilden von "Gegenseiten ".
Offene Wunde Nahost oder wie privates Leben unter der
täglichen Bedrohung funktioniert: Am Samstag feierte
das israelisch-palästinensisch-deutsche Projekt Uraufführung
am Stadttheater Heilbronn.
Wem gehört das Land? "Ich
bin von hier", "hier ist ich " und ähnliche
Fragen der Identität haben im Nahen Osten einen anderen
Tonfall. Mit den Palästinensern ist derzeit kein
Staat zu machen und auch nicht mit den Israelis.
Während die Selbstmordattentäter
den Krieg im Krieg schüren, verschanzt sich die Besatzungsmacht
in ihrer Paranoia und vergessen beide Völker in diesem
Teufelskreislauf das Leben.
Knapp eineinhalb Jahre sind vergangen,
seit das Heilbronner Theater auf Initiative seiner Doppelspitze
Klaus Wagner/Jürgen Frahm erste Gespräche in
Jerusalem führte, bis die Textcollage "Gegenseiten"
in der Regie von Elmar Fulda ins Große Haus kam.
Da karikiert Ilan Hatsors "Ein Tag im Leben des Ministerpräsidenten"
den Machtzyniker Sharon als Diktator, Andrea Köhler
stutzt ihn auf das Pappmaché-Format eines Michelin-Männchens.
Oder transportieren Karen Schweim und Adrian Scherschel
in Elisheva Greenbaums Dialog "Unter Einhaltung der
Dienstvorschrift" den Verlust von Idealen beim Versuch,
Frieden mit den Mitteln der Gewalt zu verordnen. Vor allem
Schweims bei aller Emphase unaufgeregtes Spiel versinnbildlicht
die Quadratur des Kreises. Eine todernste Angelegenheit
also, wie auch Imad Jabarins "Spiel den Araber"
mit Luis Madsen und Felix Würgler.
Um die lose Szenenfolge hat Fulda
Passagen aus dem Alten Testament, dem Koran, aus Interviews,
Zeugenaussagen, Opferberichten und mehr montiert, als
dramaturgische Klammer und als Hintergrund für den
deutschen Zuschauer. Herausgekommen sind Momentaufnahmen
unterschiedlicher dramatischer Qualität, die als
Ganzes - das ist die Stärke dieser Inszenierung -
ein geschlossenes Panorama zeichnen. Nahtlose Übergänge
wechselnder Situationen und Orte sorgen für Rhythmus
auf der von Florian Parbs eingerichteten Bühne. Und
lassen erahnen, was passiert, wenn Gewalt, Hass und Angst
ins Gehirn und Herz der Massen kriechen. Am stärksten
sind die Szenen, die nicht schulmeisterhaft eins zu eins
übersetzen, vielmehr den Wahnsinn brechen. Dann entstehen
kraftvolle Theatermomente voller Poesie, etwa wenn aus
Michael Langers Araber und aus Marie-Louise Guttecks schneidiger
Soldatin in Sameh Hijazis " Ghassan und der Arrak"
die ungewollte Komik herrschender Vorurteile spricht.
Anderes bleibt plakativ wie der Monolog einer Mutter,
die ihr Baby ertränkt, nachdem ihr palästinensisches
Volk ihren Mann, einen Kollaborateur, richtet.
Oder die Geschichte vom traumatisierten
Frontsoldaten, der sich mit Ketschup bespritzt. Eine choreografisch-schauspielerische
Leistung dennoch: die Rangelei von Elke Borkenstein und
Udo Grunwald über und unter Wasser.
Auf der in den Zuschauerraum
greifenden und nach hinten ansteigenden Rampe genügen
wenige Mittel und pure Materialien wie Pflastersteine,
Erde, ein paar Stühle und ein Bassin wie ein Aquarium,
um den Alltag zwischen Ramallah und Jerusalem und dem
Niemandsland dazwischen greifbar zu machen. Immer wieder
blicken Schauspieler sprachlos in einer überdimensionierten
Videosequenz von der Leinwand herab und projizieren stumme
Resignation.
Elmar Fulda, der vom zeitgenössischen
Musiktheater kommt, vertraut der ästhetischen Kraft
der Musik und hat dafür in Klaus Hollinetz einen
souveränen Partner. Geräuschfetzen und Klangkörper
werden zur Drohkulisse, setzen Kontrapunkte, während
uns das Ensemble als antiker Chor seine Kassandrarufe
frontal entgegenschleudert.
Was bleibt? Ein weiß-rotes
Absperrungsband zwischen zwei Stühlen, schmutziges
Wasser, verbrannte Erde, Sandsäcke. Und viel verdienter
Applaus. Nach knapp drei Stunden reiben die fünf
Frauen und fünf Männer wieder Steine aneinander,
unmissverständlich. Was Fuldas Regie unterm Strich
vernachlässigt, ist ein schärferer Blick auf
die Gegenseite von "Gegenseiten", auf die palästinensische
Strategie. Ihr, so entsteht der Eindruck, gilt das größere
Verständnis.
Von
Claudia Ihlefeld

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©Stuttgarter Nachrichten vom 08.04.2003
Israelisch-palästinensischer Theaterabend in Heilbronn
Leben im Krieg
Eine junge Israelin will mit ihrer Schwester zur Friedensdemo,
doch diese verweigert dies mit Hinweis auf ihre familiären
Probleme. Ein Selbstmordattentat stellt all diese Pläne
auf den Kopf: Gehören die eigenen Kinder zu den Opfern?
Eine Szene aus einem Land, in dem seit Jahrzehnten Krieg
herrscht: "Gegenseiten - Israeli und Palästinenser"
heißt das Stück, das im Heilbronner Stadttheater
uraufgeführt worden ist. Der israelische Autor Motti
Lerner, von dem bereits drei Stücke in Heilbronn
zu sehen waren, und Intendant Klaus Wagner hatten vor
zwei Jahren die Idee, israelische und palästinensische
Autoren zusammenzubringen für einen Theaterabend.
Das Resultat ist eine Collage von elf Stücken, variierend
zwischen Drama, Anklage und satirischer Zuspitzung, zwischen
Kammerspiel und Ein-Personen-Stück.
"Die Demonstration" heißt das bereits
erwähnte Stück der Lyrikerin Elisheva Greenbaum.
Wie der lebenskluge Araber eine israelische Soldatin verwirrt
trotz falscher Papiere und Ausgangssperre, beschreibt
Sameh Hijazi, künstlerischer Leiter des Palästinensischen
Nationaltheaters in Ost-Jerusalem.
Regisseur Elmar Fulda lässt die zehn Schauspieler
zunächst mit grimmigen Gesichtern auftreten, die
Pflastersteine aufheben und damit unter anderem das Publikum
bedrohen. Dazu fallen Sätze wie "Kein Palästinenser
ist frei von Schuld. Vernichtet sie alle" oder "Palästina
ist als Stiftung den Moslems geweiht bis zum Tage des
Jüngsten Gerichts". Die Inszenierung kommt schwer
in Gang mit ihrem Anklagepathos auf der nüchternen
Holzfläche (Ausstattung: Florian Farbs), auf der
sich außer den Steinen ein durchsichtiger Wasserbehälter
und später noch einige Stühle sowie etwas Blumenerde
befinden. Viel mehr darf es auch gar nicht sein, gilt
es doch, quasi fließend völlig verschiedene
Szenarien zu realisieren.
Ein leichtes Spiel haben Luis Madsen als Amit und Felix
Würgler als Jariv in "Spiel den Araber"
des israelischen Schauspielers Imad Jabarin. Sie sind
zwei israelische Geheimagenten, die sich zwecks Tötung
eines Palästinensers soeben als arabisches Ehepaar
verkleiden und dabei über Frauen und über arabische
im Besonderen schwadronieren. Karin Schweim als Nijma
ist in "Nijma, ihr Sohn und der Tod" von Dorine
Munayyer vom Palästinensischen Nationaltheater eine
Mutter, die ihr Baby ertränkt. Der Grund: Ihr Mann
ist ein Kollaborateur, der schon als Junge im Lager zum
Verrat gezwungen worden war. Ingrid Richter-Wendel ist
in "Mein Herz schlägt links" von Anat Gov,
einer prominenten Komödienautorin aus Tel Aviv, eine
elegante Dame im Nobelrestaurant, der Essen und Trinken
nicht gut genug sein kann und die dabei ziemlich naiv
das Leiden der Palästinenser bedauert.
Es ist nicht einfach, sich stets aufs Neue in die Szenerien
einzufühlen, auch wenn Fulda die schwankenden Stimmungslagen
in einer gut überlegten Abfolge strategisch klug
aufeinander abgestimmt hat. Und dann zünden Überraschungen
wie die plötzliche Wandlung eines Blind-Date-Paares
zu Geheimagenten der jeweils anderen Seite. "Gegenseiten"
ist Höhepunkt und wohl auch Abschluss einer mehr
als zehn Jahre währenden Beschäftigung mit Israel
und Palästina am Heilbronner Theater, denn Wagner
und sein Verwaltungsdirektor Frahm als treibende Kräfte
gehen Ende dieser Spielzeit in den Ruhestand. Armin Friedl
Weitere Aufführungen: 9., 10. und 16. April, je
19.30 Uhr. 0 71 31 / 56 30 01

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© Stuttgarter Zeitung vom 09.04.2003
Was mag jenseits der Grenze zum
Undenkbaren sein?
"Gegenseiten": ein gemeinsames Projekt israelischer
und palästinensischer Autoren am Theater Heilbronn
Am Ende stehen die fünf männlichen und fünf
weiblichen Darsteller an der Bühnenrampe und reiben
zwei Pflastersteine aneinander. Sinnbild dafür, wie
Israeli und Palästinenser sich auf engstem Raum aneinander
abarbeiten, ohne dass eine Veränderung zum Positiven
bemerkbar würde. In seiner letzten Spielzeit hat
der Intendant Klaus Wagner noch ein Stück über
Israel im Theater Heilbronn zur Uraufführung gebracht:
"Gegenseiten". Diesmal geht es nicht um den
Themenkomplex Juden und Deutsche, sondern um die Auseinandersetzung
zwischen Israeli und Palästinensern. Ein Konflikt,
der die Welt dauerhaft in Atem hält (im Augenblick
durch den Irak-Krieg in den Hintergrund gedrängt),
der aber praktisch unlösbar scheint, weil keine Seite
zu Zugeständnissen bereit und zu Toleranz und Mäßigung
fähig ist.
Auch die acht Autoren aus Israel
und Palästina, die sich an diesem Theaterprojekt
beteiligt haben, wissen keine Lösung, liefern keine
Visionen, hegen keine Hoffnungen. Anat Gov, Elisheva Greenbaum,
Ilan Hatsor, Sameh Hijazi, Imad Jabarin, Motti Lerner,
Dorine Munayyer und Salman Natour beschreiben in kurzen
Szenen, wie sich der Ausnahmezustand in dieser Region
auf das alltägliche Leben der Betroffenen auswirkt.
Da ist zum Beispiel der Ministerpräsident,
der sich diplomatische Vermittlung aus Europa verbittet,
weil er weiß, wie man mit diesen "faulen, gottverdammten,
verfickten, bepissten, stinkenden Scheißarabern"
umzugehen hat. Oder die hysterisch-verzweifelte Mutter,
die im Ungewissen ist, ob ihre Tochter in dem Bus saß,
den ein Selbstmordattentäter hat hochgehen lassen.
Oder der Oberstleutnant Jotam, der, bewusst Vorschriften
missachtend, eine Revolution von unten anzetteln will,
während seine Exfreundin, die sich mit dem System
arrangiert hat, langsam ihre Selbstkontrolle, ihr Gesicht
verliert: "Mein ärgster Feind - das bin ich
selbst".
Überhaupt: ein Motiv, das
immer wiederkehrt, ist die Entmenschlichung und Deformation
der Beteiligten. Keiner kommt heil aus diesem Teufelskreis
von Hass, Gewalt und Mord. Weder der Soldat, der einen
Unschuldigen erschossen hat, noch das vermeintliche Liebespaar,
das sich nach halbjährigem E-Mail-Austausch erstmals
in einem Café trifft. Er ist Mitarbeiter des militärischen
Geheimdienstes, sie eine Selbstmordattentäterin.
Gemeinsam fliegen sie in die Luft, weil keiner die Grenzen
zu überschreiten, das Undenkbare zu tun vermag.
Versöhnlich und witzig zugleich
wirkt die Geschichte von Ghassan, der sich einen Spaß
daraus macht, mit einer israelischen Soldatin so gekonnt
zu flirten, dass diese einen Seitensprung in Erwägung
zieht. - Der Regisseur Elmar Fulda hat die Autorenbeiträge
unter Einbeziehung von gegensätzlichen Zitat-Montagen
und ans antike Theater erinnernden Chor-Einlagen zu einer
eindringlichen szenischen Revue verbunden. Die karge Ausstattung
von Florian Parbs (basierend auf den Grundelementen Wasser,
Steine, Sand) lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters
trotz der Filmeinspielungen ganz auf den Inhalt. Erstaunlich,
wie wenig man dem Stück die zusammengesetzte Machart
anmerkt. Die israelische Seite wird dabei wesentlich differenzierter
und auch selbstkritischer dargestellt als die palästinensische.
"Gegenseiten" lehrt,
wie weit der Weg zum Frieden ist. Wo Menschen zu gefühllosen
Monstern geworden sind (wie Kurdi Bear mit seinem Bulldozer),
fällt es schwer, Brücken zu bauen. Einhelliger
Beifall für das engagierte Ensemble, die Autoren
und das Regieteam nach drei intensiven Stunden.
Von Theophil Hammer
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